Selbstständige Schule – kein Erfolgskonzept!

von Manon Tuckfeld

Immer mal wieder soll es darum gehen – eine Schule will selbstständig werden. Manon Tuckfeld, Mitvorsitzende des BV-Südhessen und GPRLL-Vorsitzende in RTWI nimmt Stellung.

Bei Interesse kann im Rahmen der Koordinierungsstelle Basisarbeit ein Beratungs- und Schulungsangebot beim BV angefragt werden.

 

Selbstständige Schule[1] – ein Erfolgskonzept?

 

Bis heute sind um die 5 Prozent (!) der hessischen allgemeinbildenden Schulen „selbstständige Schulen“ geworden – warum?

 

    1. Qualitätsverbesserung des Unterrichts?

Die Qualitätsverbesserung des Unterrichts war schon das Aushängeschild für das vorbereitende Projekt mit dem schön klingenden Namen „Selbstverantwortung plus“, bei dem von 2005 bis 2011 die „Selbstständigkeit“ von den Beruflichen Schulen in Hessen geprobt wurde. Die Ernüchterung kam als der Kultusministerin Henzler zurückgezogenen Arbeitsbericht der Projektgruppe ‚Eigenverantwortliche Schule’ vom 30.1.2009 urteilte: „Einen direkten Zusammenhang zwischen erhöhter Eigenverantwortlichkeit der Schulen und dem erfolgreicheren Erreichen pädagogischer Ziele konnte die Projektgruppe bei ihrer Bestandsaufnahme allerdings nicht ermitteln“. 3 Jahre später stellte die für die universitäre Begleitung beauftragte Professorin Clement von Universität Kassel zum Abschluss des Projekts fest: Es gebe keinen wissenschaftlichen Beleg für den Zusammenhang von mehr Selbständigkeit von Schulen und positiver Wirkung auf Bildungsprozesse und könne ihn aufgrund der ceteris-paribus-Klausel auch nicht geben.

 

Wer dennoch Beinfreiheit haben möchte in der Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte kann dies über die rechtlichen Möglichkeiten des § 127c HSchGesetz. Dort heißt es unter Absatz (1) 1Zur Weiterentwicklung des Schulwesens und zur Erprobung neuer Modelle erweiterter Selbstverwaltung und Eigenverantwortung sowie rechtlicher Selbstständigkeit kann Schulen auf der Grundlage einer Kooperationsvereinbarung zwischen ihnen und der Schulaufsichtsbehörde und sofern erforderlich mit dem Schulträger gestattet werden, abweichend von den bestehenden Rechtsvorschriften (…), in der Unterrichtsorganisation und inhaltlichen Ausgestaltung des Unterrichts sowie der Organisation und der Gestaltung der Ganztagsangebote selbstständige Entscheidungen zu treffen.

 

    2. Zuwachs an Ressourcen oder Zuwachs an Arbeit?

Seit einigen Jahren gibt es neben der sogenannten Grundunterrichtsversorgung zusätzliche 4%. Einfach erklärt: benötigte die Schule für die Abdeckung der Stundentafel 100 Lehrkräfte so erhält sie der Theorie nach 4 Lehrkräfte mehr. Dass sich diese 4 Stellen mehr (um im Beispiel zu bleiben) nicht immer so segensreich auswirken wie mensch im ersten Moment meinen könnte, liegt an so einfachen Dingen wie kurzfristige Ausfälle durch Krankheit etc. pp.

 

Eine selbstständige Schule erhält 1% mehr, somit 105% statt 104%. Dafür erhält diese aber auch einen Strauß von neuen Aufgaben. Das große Schulbudget ist zwingend an die Selbstständigkeit gebunden. Bericht- und Kontrollpflichten sind unabdingbar und auch vorgeschrieben. Zudem kommt im erheblichen Umfang Personalmanagement (Einstellungen / Honorarverträge etc.).

 

Nicht ohne Grund gab es beim Modellprojekt „Selbstverantwortung-Plus“ dafür extra Mittel im Umfang einer Stelle, die damals gern für eine Verwaltungskraft genutzt wurde. Diese Mehrarbeit wird gerne von interessierter Seite heruntergespielt, trotzdem ist sie da.

 

    3. Beteiligung der Lehrkräfte an der Verteilung der Mittel – Fehlanzeige!

In der Pflichtstundenverordnung §3 (5) heißt es: „Die Schulleiterin oder der Schulleiter von selbstständigen Schulen (§§127c, 127d, 127e HSchG) kann die zusätzliche Grundunterrichtsversorgung ganz oder teilweise auf das zusätzliche Leiter- und Leitungsdeputat gemäß Abs. 3 übertragen.“

In Absatz (6) des gleichen Werks heißt es:

Die Schulleiterin oder der Schulleiter von Schulen, die nicht unter Abs. 5 fallen, kann bis zu 20 vom Hundert des Zuschlags zur Grundunterrichtsversorgung auf das zusätzliche Leiter- und Leitungsdeputat gemäß Abs. 3 übertragen. Im Einvernehmen mit der Gesamtkonferenz kann sie oder er zusätzlich zehn vom Hundert des Zuschlags zur Grundunterrichtsversorgung auf das zusätzliche Leiter- und Leitungsdeputat gemäß Abs. 3 übertragen. In Schulen, die nicht unter Abs. 5 fallen, dürfen insgesamt bis zu 30 vom Hundert des Zuschlags zur Grundunterrichtsversorgung für Aufgaben von Schulleiterinnen und Schulleitern und weitere Schulleitungsaufgaben verwendet werden.

Anders ausgedrückt. Die selbstständige Schule nimmt den Kolleg*innen ‚ihre‘ Deputate und dies im erheblichen Umfang. Wenn wir im anfänglichen Beispiel bleiben, im Umfang von gut drei Stellen.

 

    4. Zuwachs an Qualität oder Unterversorgung nebst prekärer Beschäftigung?

Das Große Schulbudget ermöglicht die eigenständige Bewirtschaftung der Mittel für (freie) Personalmittel (jährliches Soll/Ist). Für Stellen erhalten die Schule ca. 70% dessen, was eine Stelle – würde diese mit einer ausgebildeten Lehrkraft besetzt werden tatsächlich ‚kostet‘.  Die Schulleitung hat die Möglichkeit diese Mittel einzusetzen, allerdings ist ausschließlich der Abschluss von befristeten Verträgen möglich. 

 

Ebenso ist es möglich Stellengewinne auch nicht geteilten Klassen zu kapitalisieren. In machen Schule wird folgendes zum Programm. Warum Lehrkräfte einsetzen, wenn dies preiswerter von Anderen erledigt werden kann. Diese Logik wird keiner strengen oder demokratisch legitimierten Entscheidung unterzogen, sondern auch schon mal als Sparprogramm gefahren. Hausaufgabenbetreuung, Arbeitsgruppe, Vertretungsunterricht (Springerpool für Lehrerkräfte) – manchmal ist es aber auch nur mühsame Pflicht – und Schulen bekommen für die Ihnen zur Verfügung stehenden Personalmittel keine qualifizierten Lehrkräfte. Sie unterliegen im Verteilungskampf um Bewerber*innen. 

 

In vielen selbstständigen Schule besteht eine klar erkennbare Unterversorgung mit qualifizierten Personal. Es ist somit mehr von einem Verlust an Qualität als einem Zuwachs auszugehen. Dies wird gestützt durch den Umstand, dass regelmäßig Mittel aus den Großen Schulbudget an das HKM zurückfließen.

 

Der Personalrat einer Schule merkt in jedem Fall die Umwandlung. Es wird eingestellt, entlassen, Stundenanteile bewegt. Diese Mehrarbeit vergütet niemand. 

 

    5. Mehrarbeit gesichert!

Dies nicht nur im Hinblick auf Verwaltungs- und Personalmanagement sondern auch für die Kolleg*innen. Über eine selbständige Schule kann nicht entschieden werden, bevor nicht zuvor die Gesamtkonferenz eine „Konzeption, in der die Abweichungen von den bestehenden Rechtsvorschriften nach Abs. 2 festgelegt sind“, beraten und beschlossen hat (§ 127d Abs.7)!

 

Diese Konzeption wird ebenfalls gerne heruntergespielt – sie zwingt (und das ist das Gute fürs Kollegium) zur Präzisierung dessen, was die Schule/SL und Sie selbst mit einem solchen Schritt vorhaben. Hier kann verbindlich und transparent geklärt werden, wie sich die angestrebte Veränderung auf die Schule im Hinblick auf neue pädagogische Profil (Entwicklungsziele) auswirken soll, und welche konkreten Entlastungen damit für die Kolleg*innen und Personalrat eingeplant sind. 

 


[1] - Hessisches Schulgesetz §127c und d, §v 2, §3, : https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/jlr-SchulGHE2017V5IVZ

- Erlass „Umwandlung in eine selbständige allgemein bildende Schule“ vom 02. Juli 2021: https://kultusministerium.hessen.de/sites/kultusministerium.hessen.de/files/2021-10/erlass_ses_2021_endversion.pdf