Mit Sicherheit keine gute Wahl – oder wie Lehrkräfte nicht wählen können

Stellungnahme des Vorsitz des Bezirksverband Südhessen zur Schulöffnung nach den Osterferien

und zu Schnelltests für Kolleg*innen und Schüler*innen

Mit Sicherheit keine gute Wahl – 

oder wie Lehrkräfte nicht wählen können

und Sicherheit in Schule durch Test nicht zu 100 % erreicht werden kann

 

Mit Schreiben vom 12.04.2021 hat das HKM negative Testergebnisse, die nicht älter als 72 Stunden sein dürfen zur Voraussetzung für die Teilnahme am Präsenzunterricht gemacht. 

 

Diese Prämisse setzt das HKM für Lehrkräfte über eine Verpflichtung zur Vorlage entsprechender Nachweise durch. Abgesehen von einer 180°-Drehung des HKM nach den doch so positiven Erfahrungen der 21 Pilotprojekte mit freiwilligen Testungen für schulisches Personal und Schüler*innen soll diese Verpflichtung bar jeder personalrätlichen Mitbestimmung umgesetzt werden Nehmen hier Lehrkräfte in Punkto Testpflicht eine Sonderstellung ein? Sind Lehrkräfte Menschen mit denen nicht gesprochen werden muss, nicht mit den Verbänden, nicht mit den Personalräten?

 

Schüler*innen, die kein solches Testergebnis vorlegen können/wollen, können schriftlich von der Teilnahme am Präsenzunterricht abgemeldet werden. Sie erhalten Aufgaben von der Schule geeignete Aufgabenstellungen – aber keine Begleitung durch Lehrkräfte wie im Präsenzunterricht.

 

Was heißt hier „Begleitung“? Und von wem?

Das zentrale Problem ist darüber hinaus die Frage, was „Begleitung der Testdurchführung“ (Schülertests) durch Lehrkräfte bedeutet. Auch wenn die Lehrkraft „den Test nicht selbst bei Schülerinnen und Schülern“ durchführen soll, stellt diese „Begleitung“ eine massive Überlastung der Lehrkräfte dar. Die Richtlinien zur Durchführung medizinischer Hilfsmaßnahmen (Erlass vom 29.4.2015) beschreiben die Durchführung medizinischer Selbstmaßnahmen bei Schüler*innen, bei denen die Überwachung der Maßnahme durch schulische Bedienstete zulässig ist, sofern eine Vereinbarung zwischen Personal, Schulleitung und Eltern geschlossen wurde und aus der hinreichend hervorgeht, „worin die Überwachung im Einzelnen bestehen soll.“ Ebenso können medizinische Hilfsmaßnahmen grundsätzlich von schulischen Bediensteten vorgenommen werden, wenn u.a. eine schriftliche Vereinbarung geschlossen wurde, die die Freiwilligkeit des/der Bediensteten zur bestimmten Maßnahme ausdrücklich erklärt.

 

Natürlich war bei den Richtlinien nicht an eine Epidemiesituation gedacht. Aber sie wird, wie so vieles unbedacht und diskutiert, über Bord geworfen.  Dass die aktive Rolle der Lehrkräfte in der Praxis weit über eine mündlich erklärende „Begleitung“ hinausgehen wird, verrät das HKM selbst in seinem Schreiben zur Testung nach den Osterferien. Denn Kolleg*innen sollen bei Durchführungsschwierigkeiten, was besonders an den Grund- und Förderschulen zu erwarten ist, in Schutzmontur (die hoffentlich von den Schulleitungen als vordringlichste aller Aufgabe herangeschafft wurde) schlüpfen und zur Hand gehen. Von einem Selbsttest kann dann keine Rede mehr sein. Nicht nur in den Grund- und Förderschulen verfügen viele Kinder und Jugendliche nicht über die motorischen und kognitiven Fertigkeiten und Fähigkeiten oder auch über die notwendige Ernsthaftigkeit diese Selbsttests durchzuführen:

 

Selbst das HKM weist darauf hin, dass der zur Verfügung stehende Antigen-Selbsttest des Unternehmens Roche „ursprünglich, wie auch alle anderen sonderzugelassenen Antigen-Selbsttests, nur für die Anwendung durch medizinisches Fachpersonal vorgesehen“ war. Mit der „Sonderzulassung zur Verwendung als Antigen-Selbsttest“ ergeben sich „nunmehr Änderungen bei der Durchführung der Tests“. Deshalb werden die Lehrkräfte aufgefordert, „dass sie sich die Umpackanleitung, die der Lieferung und auch diesem Schreiben beigefügt ist, genau durchlesen und die darin beschriebenen Änderungen vornehmen“. 

 

Es gibt keine Dienstanweisung die Test der Schüler*innen praktisch durchzuführen (https://kultusministerium.hessen.de/schulsystem/umgang-mit-corona-an-schulen/fuer-schulleitungen/schreiben-schulleitungen/durchfuehrung-von-antigen-selbsttests-zum-nachweis-des-coronavirus-sars-cov-2-in-schulen – in Punkt 7 dieses Schreibens wird von „Hilfe leistenden Personen“ gesprochen – nicht von Lehrkräften). 

Lehrkräfte sind seitens des HKM lediglich dazu aufgefordert, die Testdurchführung zu erläutern und zu begleiten. 

 

Bemerkenswert ist zudem die Unterstützung durch Pat*innen des Roten Kreuz mit 10 Stunden pro Schule bis Ende April. Der Vertrag mit dem Ministerium und dem DRK über dieses „Unterstützungs“volumen mit nicht mehr als Symbolcharakter wurde am 7.4.2021 geschlossen. Die Schulen müssen das Abrufangebot extra anfordern. Laut hr-Bericht werden die DRK-Pat*innen aber keineswegs die Tests praktisch durchführen. Dies bleibt vollwertig in der Verantwortung der Lehrkräfte. Interessant wäre, mit welcher Begründung diese viel eher medizinisch vertrauten Personen von dieser Aufgabe befreit sind, Lehrkräfte aber dazu verpflichtet werden sollen. 

 

Eine denkbare Alternative wäre eine Art Teststraße (vgl. Österreich), auf der Eltern ihre Kinder am Rand des Schulhofs begleiten und testen könnten.

Die GEW Hessen hat bereits erklärt, dass, wenn auch nicht allen Elternhäusern zumutbar, Schülertestungen zu Hause vor der Schule durchgeführt werden sollen. Durch die Abgabe einer Verpflichtungserklärung der Eltern/volljährigen Schüler*innen gegenüber der Schule mit von der Schule gestellten kostenlosen Tests könnte ein niedrigschwelliges Angebot zur Heimtestung erfolgen.

Der Vorsitz der GEW Südhessen sieht im Anleiten, Begleiten und evtl. sogar Durchführen von Schülerselbsttests keineswegs Aufgaben des schulischen Personals ohne medizinische Ausbildung und fordert, dass das gesamte Testprozedere durch Dritte vorzunehmen ist.

 

Stattdessen soll es so gehen…

Räumlichkeiten

Die Testungen sind „schulorganisatorisch“ vor Ort zu regeln, heißt es aus dem HKM. In der Praxis bedeutet dies wohl oft aus Ermangelung von Räumlichkeiten und organisatorischen Überlegungen, weil man nach der Testung im (halben) Klassenverband in den Präsenzunterricht starten kann: Klassenzimmer. Aktuell warnen führende Aerosolforscher wie Christof Asbach, Gerhard Scheuch und Birgit Wehner vor Treffen in Innenräumen, empfehlen neben dem Stoß- und Querlüften sowie Masken tragen dringend Luftreiniger auch an Schulen.

Der Vorsitz der GEW Südhessen fordert das Testprozedere in den Schulen möglichst nach draußen bzw. in Turnhallen/Aulas zu verlagern, was durch Wechselunterricht sowie verringerte Präsenzzeiten organisatorisch zumindest teilweise ermöglicht werden kann.

 

Unterrichtszeit verrinnt – auch durch Tests

Durch die Durchführung der Tests zu Unterrichtsbeginn beklagen viele Kolleg*innen den Verlust von noch mehr Unterrichtszeit von ca. einer Schulstunde pro Woche. Als Bildungsgewerkschaft nimmt die GEW neben Arbeitsbedingungen auch die Bildungspolitik in den Blick. Es ist nunmehr ein Dreivierteljahr vergangen, in dem die Landesregierung nicht in der Lage war, beherzt das Curriculum zu reduzieren. Stattdessen hält das HKM entweder die Gleichwertigkeit von Distanz- und Präsenzunterricht hochhält oder propagiert, oder Rückstände in der Stoffvermittlung durch freiwillige Ferienlerncamps aufzuholen versucht.

 

Trotz grundsätzlicher Testmöglichkeit ist nach den Osterferien weiterhin keine Option auf irgendeine Form des Präsenzunterrichts ab Klasse 7 mit Ausnahme der Abschlussklassen geplant.

Warum? 
Der Vorsitz der GEW Südhessen fordert in der aktuellen Lage Wechselunterricht wie derzeit in den Grundschulen für alle Schulstufen unter Berücksichtigung der AHA-L-Regeln.

Wenn das Aussetzen des Präsenzunterrichts für die die Schüller*innen ab Klasse 7 so weitergeht, muss umgehend ein zu planendes „Corona-Jahr“ als geschenktes Schuljahr angedacht werden. 

 

Erschwerend kommt hinzu, dass Schnelltests - keine sichere Bank sind.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen sind die Testergebnisse keine sichere BankNach Angaben des RKI liegt diese im Vergleich zum PCR-Test bei Patient*innen mit COVID-19-Symptomen bei 85,7% - bei asymptomatischen Patient*innen (die Situation in den Schulen) bei nur noch 38,9% (immer bezogen auf die positive PCR-Testung). Zudem ist die Sensitivität (also Genauigkeit) der Schnelltest bemerkenswert gering, wenn asymptomatische Personen getestet werden. So bezweifeln beispielsweise Kinderärzte die Sinnhaftigkeit dieser Test in diesem Umfang. 

 

Stigmatisierung und Druck

Darüber hinaus bestehe die Gefahr, dass negative Testergebnisse das Befolgen bewährter Hygieneregeln in den Schulen erheblich schmälere. Auch muss beachtet werden, was ein positives Testergebnis im Klassenverband hinsichtlich der Stigmatisierungs-, Organisations- und Aufsichtsproblemen auslöst.

 

Es kann sein, dass Kinder nicht mehr mit Freude, sondern mit Angst zur Schule kommen. Der massive Druck und im Hinblick auf die nicht ganz so weitreichenden positiven Effekte des Tests sollte gesenkt werden. Die GEW tritt für Tests ein, aber bitte mit Augenmaß und unter Beachtung der Rechte der Kolleg*innen. 

 

Abschließend ist festzustellen, das wir als Interessensvertretung vieler im Bildungssystem Beschäftigter durch viele persönliche Einzelrückmeldungen wissen, dass die Kollegien unheimlich viel verfehlter Bildungspolitik bereit sind, mitzutragen und aus den bescheidenen Bedingungen, so viel Gutes wie möglich zu gestalten – besonders in der seit nunmehr einem Jahr bestehenden Corona-Ausnahmesituation. Ein Freibrief für den Dienstherrn, diesen engagierten Kolleg*innen in „Mal sehen, wie weit ich gehen kann“-Manier immer mehr ohne Fach-, Arbeitszeit-, und Mitbestimmungsbezug abzuverlangen, ist sie nicht. Damit muss Schluss sein.

 

Für den Vorsitz des Bezirksverbandes Südhessen

Christine Dietz, Michael Köditz und Manon Tuckfeld