Rundbrief 11
Im letzten Newsletter ging es um die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen
auf Kinder und Jugendliche. Wir baten Euch um Erfahrungsberichte. Die
Resonanz war überwältigend. Es gab viele Antworten, und alle zeigten
sich erfreut darüber, dass dieses Thema angegangen werden soll. Wir
versprachen Verbreitung mit dem Ziel einer Diskussion, auch darüber,
wie die Schule sich in Zukunft aufstellen muss, um bspw. auch psychische
Entwicklungsdefizite aufzuarbeiten. Da einige Kolleg*innen baten,
namentlich nicht genannt zu werden, haben wir uns entschlossen, die
Berichte grundsätzlich nur mit Angaben zu Ort und Schulform
veröffentlichen. Namen und Mailadressen aller Einsender*innen sind uns
bekannt, und natürlich sind alle Mitglied unserer Gewerkschaft.
Die Freude darüber, dass Kinder Thema werden, zeigt sich exemplarisch
in der Mail einer friedenspolitisch engagierten Kollegin aus Offenbach,
die schreibt: “Danke für euer Schreiben! Ich hatte im letzten Jahr zum
ersten Mal in meiner langen Zeit der Mitgliedschaft in der GEW das
Gefühl, in der falschen Organisation zu sein. Ständig war der Fokus
nur bei den Lehrkräften. Wie du weißt, bin ich im Ruhestand. Deshalb
habe ich gedacht, ich mische mich nicht ein. Ich habe ja nicht das
Problem, mich in überfüllten Klassenräumen aufhalten zu müssen. Ich
fürchte um die Kinder! Es liegt auf der Hand, dass sie Schaden nehmen.
Und nach meinen Erfahrungen mit Jugendlichen, die auf den
Hauptschulabschluss hinlernen, ist die Forderung die Prüfungen
auszusetzen genau richtig. Viel Erfolg!“
Die bis gestern auf der angegebenen Mailadresse eingegangenen Berichte
füllen inzwischen 16 Seiten. Das ist zu viel für diesen Newsletter.
Wir haben die Texte mit
geringfügigen Kürzungen auf unsere Homepage gestellt, dort sind sie
auch insgesamt als pdf-Datei abrufbar.
Hier ein paar kurze Ausschnitte:
Eine sozialpädagogische Fachkraft, die in der mobilen pädagogischen
Frühförderung mit Kindern im Vorschulalter arbeitet, schreibt:
„Jetzt in Zeiten des Lockdowns zeigt sich noch viel deutlicher als
sonst, welche wichtigen Bildungs- und Erziehungsaufgaben
Kindertagesstätten haben, insbesondere bei (sozial) benachteiligten Kindern:
Die Kinder, mit denen ich arbeite, die jetzt wochenlang ihre
Einrichtungen nicht besuchen konnten, stagnieren deutlich in ihrer
Entwicklung oder machen sogar Rückschritte. Besonders gravierend zeigt
sich das in ihrer Sprachentwicklung und in ihrer Fähigkeit, sich zu
konzentrieren. Sehr problematisch ist dies insbesondere für Kinder, die
jetzt kurz vor ihrer Einschulung wochenlang kein Deutsch gehört und
gesprochen haben. ...“
Die Klassenlehrerin einer 3. Klasse im MTK schreibt:
„Ich beobachte, dass die Kinder unmotivierter werden, sich teils sehr
einsam fühlen (auch wenn sie ein liebevolles Zuhause haben) und ihre
Freunde sehr vermissen. Ich will die Kinder selbst zu Wort kommen lassen."
Es folgen zwei Auszüge aus Schüleraufsätzen:
"Seit fast einem Jahr gibt es nun Corona. Das ist ein Achtel meines
bisherigen Lebens. Langsam finde ich es richtig zum Heulen. Ich kann
nicht in den Fußballverein zum Trainieren. Schwimmbäder und Kinos haben
zu und mit all meinen Freunden zusammen kann ich mich auch nicht mehr
treffen. Die Schule findet online oder als Notbetreuung statt. All diese
Dinge machen mich wütend, traurig und oft bin ich so durcheinander,
dass ich mich nicht mehr richtig konzentrieren kann. Am blödesten ist,
dass mir kein Erwachsener sagen kann, wann alles wieder normal wird. Ich
freue mich am meisten darauf, wenn die Erwachsenen wieder gut drauf und
nicht mehr gestresst sind. Wenn ich wieder mit meinen Freunden spielen
und lernen kann. Ich möchte wieder viele Tore schießen in meiner
Fußballmannschaft."
"Langsam geht mir Corona auf den Keks. Ich weiß nicht mehr wie es war,
als Corona noch nicht da war. Es ist ja schon ein ganzes Jahr her,
langsam reicht‘s. Abends im Bett denke ich immer: 'Wann hört es endlich
auf oder begleitet das Corona mich mein ganzes Leben lang?' Diese Fragen
quälen mich. Ganz besonders nerven die Masken. Damit kriegt man nicht
so gut Luft. Ich glaube Corona hat uns gezeigt, dass wir Menschen mehr
auf die Umwelt achten sollen. Vielleicht ist Corona ein Warnzeichen der
Erde."
Die Klassenlehrerin einer 7. Klasse in Darmstadt schreibt:
... „Bestimmt eine sehr „andere Lernzeit“, die alle Beteiligten oft an
den Rand des Wahnsinns bringt, jedoch auch viele Schwachstellen und
zugleich Ressourcen offenbart. Sicherlich problematisch für Schüler
ohne häuslichen Rückhalt, Kontrolle und Hilfestellung und für
diejenigen, deren sensible Psycho an der Länge der Isolation Schaden
nimmt und die die ggf. wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Elternhaus
stark belastet.“
Eine Kollegin, die im elternbund hessen mitarbeitet, schreibt:
„Ich fände es gut, wenn wir nach all den Informationen von Hüther und
anderen zu der Situation unserer Kinder kindorientierte
Rückführungsmaßnahmen bzw. ein Gesamtkonzept fordern. Bereits die
Zeugnisse von letzter Woche waren bei vielen Kindern die der Eltern. ...
Wir haben mit den Folgen der Pandemie die Chance, unsere inklusiven
Handlungskonzepte auf alle Kinder anzuwenden, sie alle fürsorglich ins
Bildungssystem zurückzuführen - nicht nur die mit einem
sonderpädagogischem Stempel. Corona hat viele andere zusätzlich
herausfallen lassen (sie exkludiert). Wir können uns - wie für die
Impfung - auch für unsere Kinder die Zeit nehmen, die sie verloren
haben, ihrer Exklusion inklusiv begegnen, kindorientierte Räume zum
Aufholen schaffen und uns mehr dazu mit unseren europäischen Nachbarn
austauschen. Sie haben doch die selben Probleme trotz ihrer gut
entwickelten digitalen Möglichkeiten. Eine solche Vorgehensweise würde
uns alle in Deutschland und in der EU stärken und könnte uns zu einer
solidarischen Handlungsgemeinschaft zusammenschweißen. Ihr habt doch
sicher auch Kontakte zu euren Gewerkschaften in den Nachbarländern?
Lasst uns doch gemeinsame Sache machen!“
Eine HR-Kollegin schreibt:
„... Zu Beginn des Schuljahres war ich entsetzt über die massiven
Einschränkungen für die Kinder ... und dann kam die Maskenpflicht im
Unterricht! ... Es war eine erbärmliche Zeit! ... Die
Unterrichtsdynamik nahm ab, die Kinder klagten zunehmend über
Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und sie waren
wenig motivierbar. Als Gründe gaben sie zumeist an, sie hätten wenig
oder schlecht geschlafen. Die Stimmung entsprach so ein wenig dem
„Winterblues“. Während der Unterrichtszeit hörte man auf den Gängen
das Schimpfen von Lehrkräften, die wiedermal auf die Maskenpflicht
hinwiesen. ... Bald häuften sich Akte von Vandalismus und Aggressionen
– so schlimm war es noch in keinem Schuljahr. ... Die Pausenaufsichten
wurden immer anstrengender, in jeder Pause gab es laute Konflikte, kurz
vor Weihnachten kam es dann sogar im Unterricht zu einer heftigen
Schlägerei. ... Die Fehlzeiten der Kinder nahmen deutlich zu, täglich
entließ ich Kinder für Arztbesuche oder weil es ihnen einfach nicht gut
ging, manchmal bis zu 5 Kinder an einem Schultag. Die Beschwerden waren
zumeist Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe, aber auch Übelkeit und
Magenschmerzen. ...“
Mehr auf unserer Homepage.
Die Landesrechtsstelle Hessen informiert über rechtswidrige
Weisungen, „nicht geleisteten“ Unterricht nachzuholen
... Verstärkt stellen wir fest, dass Schulleitungen trotz komplett
unübersichtlicher Situation über die geleistete Arbeitszeit in den
letzten Halbjahren Lehrkräfte jetzt anweisen, Stunden „nachzuholen“.
Eine solche Weisung stellt sich in den allermeisten Fällen als
rechtswidrig dar.
Hintergrund ist die Tatsache, dass für eine Forderung, Arbeitszeit
nachzuholen ein Arbeitszeitkonto die Grundlage sein müsste. Ein solches
existiert für Lehrkräfte jedoch nicht. Folglich müssen sie Ihre
Arbeitszeit Woche für Woche ableisten. Wenn die Arbeitsleistung der
Lehrkräfte seitens des Dienstherrn aus den unterschiedlichsten (auch
aus Corona-bedingten!) Gründen nicht in Anspruch genommen wird oder
genommen werden kann, „verfällt“ die Verpflichtung zur Arbeitsleistung
und muss auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachgeholt werden. ...
Lehrkräfte kommen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Dienstherrn
beziehungsweise dem Arbeitgeber nach, wenn sie ihre Arbeitsleistung „in
der Dienstzeit“ zur Verfügung stellen. Da die Pflichtstundenverordnung
eine Wochenpflichtstundenzahl definiert, kann dies nach Ansicht der
Landesrechtsstelle immer nur wochenweise erfolgen. Können Lehrkräfte
in dieser Zeit aus Gründen nicht arbeiten, die der Dienstherr zu
verantworten hat, muss dies das Risiko des Dienstherrn sein und nicht
der Beschäftigten. ...
Die Verrechnung von Minusstunden in den darauffolgenden Wochen oder gar
Monaten, wie sie vielfach vorgenommen wird, ist eine unzulässige
Überschreitung des gesetzlichen Rahmens.
Verschärfend kommt hinzu, dass die Lehrkräfte ja maximal bei den
geleisteten Unterrichtsstunden vor Ort in der Schule „in Verzug“
gekommen sind was in den allermeisten Fällen nicht heißt, dass sie
weniger gearbeitet hätten. Oft, und gerade unter „Corona Bedingungen“
haben die Lehrkräfte viel mehr gearbeitet als die Pflichtstundenzahl
hergibt und ihren außerunterrichtlichen Verpflichtungen entspricht, nur
eben nicht im Präsenzunterricht. In dem Kontext mag die Forderung
„nicht geleistete“ Pflichtstunden nachzuholen fast schon als höhnisch
empfunden werden. ...
Beispiele einer unzulässigen Aufforderung, verpassten Unterricht
nachzuholen sind: Kein oder nur unzureichender Überblick über
geleistete Arbeit aufgrund der Corona- Situation
Ausgefallener Fachunterricht beim Praktikum
Kolleg*in geht auf Fortbildung und soll ausgefallenen Unterricht
nachholen Unterrichtsausfall, weil Schüler*innen auf
Klassenfahrt/Wandertag/Studienfahrt sind Unterrichtsausfall in
Prüfungswochen
Unterrichtsausfall nach dem Ende der Abitur- oder anderer
Abschlussprüfungen.
Wenn Arbeitszeit nachgeholt werden soll, die länger als einen Monat
zurück gelegen haben soll, bitte den Personalrat einbeziehen und bei
Bedarf die GEW-Rechtsberatung kontaktieren.