Kinder im Lockdown: Erfahrungsberichte
Im letzten Newsletter ging es um die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf Kinder und Jugendliche. Wir baten Euch um Erfahrungsberichte. Die Resonanz war überwältigend. Es gab viele Antworten, und alle zeigten sich erfreut darüber, dass dieses Thema angegangen werden soll. Wir versprachen Verbreitung mit dem Ziel einer Diskussion, auch darüber, wie die Schule sich in Zukunft aufstellen muss, um bspw. auch psychische Entwicklungsdefizite aufzuarbeiten. Da einige Kolleg*innen baten, namentlich nicht genannt zu werden, haben wir uns entschlossen, die Berichte grundsätzlich nur mit Angaben zu Ort und Schulform veröffentlichen. Namen und Mailadressen aller Einsender*innen sind uns bekannt, und natürlich sind alle Mitglied unserer Gewerkschaft. Die Freude darüber, dass Kinder Thema werden, zeigt sich exemplarisch in der Mail einer friedenspolitisch engagierten Kollegin aus Offenbach, die schreibt: “Danke für euer Schreiben! Ich hatte im letzten Jahr zum ersten Mal in meiner langen Zeit der Mitgliedschaft in der GEW das Gefühl, in der falschen Organisation zu sein. Ständig war der Fokus nur bei den Lehrkräften. Wie du weißt, bin ich im Ruhestand. Deshalb habe ich gedacht, ich mische mich nicht ein. Ich habe ja nicht das Problem, mich in überfüllten Klassenräumen aufhalten zu müssen. Ich fürchte um die Kinder! Es liegt auf der Hand, dass sie Schaden nehmen. Und nach meinen Erfahrungen mit Jugendlichen, die auf den Hauptschulabschluss hinlernen, ist die Forderung die Prüfungen auszusetzen genau richtig. Viel Erfolg!“ Die bis gestern auf der angegebenen Mailadresse eingegangenen Berichte füllen inzwischen 16 Seiten. Das ist zu viel für diesen Newsletter. Wir haben die Texte mit geringfügigen Kürzungen auf unsere Homepage gestellt, dort sind sie auch insgesamt als pdf-Datei abrufbar. Hier ein paar kurze Ausschnitte: Eine sozialpädagogische Fachkraft, die in der mobilen pädagogischen Frühförderung mit Kindern im Vorschulalter arbeitet, schreibt: „Jetzt in Zeiten des Lockdowns zeigt sich noch viel deutlicher als sonst, welche wichtigen Bildungs- und Erziehungsaufgaben Kindertagesstätten haben, insbesondere bei (sozial) benachteiligten Kindern: Die Kinder, mit denen ich arbeite, die jetzt wochenlang ihre Einrichtungen nicht besuchen konnten, stagnieren deutlich in ihrer Entwicklung oder machen sogar Rückschritte. Besonders gravierend zeigt sich das in ihrer Sprachentwicklung und in ihrer Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Sehr problematisch ist dies insbesondere für Kinder, die jetzt kurz vor ihrer Einschulung wochenlang kein Deutsch gehört und gesprochen haben. ...“ Die Klassenlehrerin einer 3. Klasse im MTK schreibt: „Ich beobachte, dass die Kinder unmotivierter werden, sich teils sehr einsam fühlen (auch wenn sie ein liebevolles Zuhause haben) und ihre Freunde sehr vermissen. Ich will die Kinder selbst zu Wort kommen lassen." Es folgen zwei Auszüge aus Schüleraufsätzen: "Seit fast einem Jahr gibt es nun Corona. Das ist ein Achtel meines bisherigen Lebens. Langsam finde ich es richtig zum Heulen. Ich kann nicht in den Fußballverein zum Trainieren. Schwimmbäder und Kinos haben zu und mit all meinen Freunden zusammen kann ich mich auch nicht mehr treffen. Die Schule findet online oder als Notbetreuung statt. All diese Dinge machen mich wütend, traurig und oft bin ich so durcheinander, dass ich mich nicht mehr richtig konzentrieren kann. Am blödesten ist, dass mir kein Erwachsener sagen kann, wann alles wieder normal wird. Ich freue mich am meisten darauf, wenn die Erwachsenen wieder gut drauf und nicht mehr gestresst sind. Wenn ich wieder mit meinen Freunden spielen und lernen kann. Ich möchte wieder viele Tore schießen in meiner Fußballmannschaft." "Langsam geht mir Corona auf den Keks. Ich weiß nicht mehr wie es war, als Corona noch nicht da war. Es ist ja schon ein ganzes Jahr her, langsam reicht‘s. Abends im Bett denke ich immer: 'Wann hört es endlich auf oder begleitet das Corona mich mein ganzes Leben lang?' Diese Fragen quälen mich. Ganz besonders nerven die Masken. Damit kriegt man nicht so gut Luft. Ich glaube Corona hat uns gezeigt, dass wir Menschen mehr auf die Umwelt achten sollen. Vielleicht ist Corona ein Warnzeichen der Erde." Die Klassenlehrerin einer 7. Klasse in Darmstadt schreibt: ... „Bestimmt eine sehr „andere Lernzeit“, die alle Beteiligten oft an den Rand des Wahnsinns bringt, jedoch auch viele Schwachstellen und zugleich Ressourcen offenbart. Sicherlich problematisch für Schüler ohne häuslichen Rückhalt, Kontrolle und Hilfestellung und für diejenigen, deren sensible Psycho an der Länge der Isolation Schaden nimmt und die die ggf. wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Elternhaus stark belastet.“ Eine Kollegin, die im elternbund hessen mitarbeitet, schreibt: „Ich fände es gut, wenn wir nach all den Informationen von Hüther und anderen zu der Situation unserer Kinder kindorientierte Rückführungsmaßnahmen bzw. ein Gesamtkonzept fordern. Bereits die Zeugnisse von letzter Woche waren bei vielen Kindern die der Eltern. ... Wir haben mit den Folgen der Pandemie die Chance, unsere inklusiven Handlungskonzepte auf alle Kinder anzuwenden, sie alle fürsorglich ins Bildungssystem zurückzuführen - nicht nur die mit einem sonderpädagogischem Stempel. Corona hat viele andere zusätzlich herausfallen lassen (sie exkludiert). Wir können uns - wie für die Impfung - auch für unsere Kinder die Zeit nehmen, die sie verloren haben, ihrer Exklusion inklusiv begegnen, kindorientierte Räume zum Aufholen schaffen und uns mehr dazu mit unseren europäischen Nachbarn austauschen. Sie haben doch die selben Probleme trotz ihrer gut entwickelten digitalen Möglichkeiten. Eine solche Vorgehensweise würde uns alle in Deutschland und in der EU stärken und könnte uns zu einer solidarischen Handlungsgemeinschaft zusammenschweißen. Ihr habt doch sicher auch Kontakte zu euren Gewerkschaften in den Nachbarländern? Lasst uns doch gemeinsame Sache machen!“ Eine HR-Kollegin schreibt: „... Zu Beginn des Schuljahres war ich entsetzt über die massiven Einschränkungen für die Kinder ... und dann kam die Maskenpflicht im Unterricht! ... Es war eine erbärmliche Zeit! ... Die Unterrichtsdynamik nahm ab, die Kinder klagten zunehmend über Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und sie waren wenig motivierbar. Als Gründe gaben sie zumeist an, sie hätten wenig oder schlecht geschlafen. Die Stimmung entsprach so ein wenig dem „Winterblues“. Während der Unterrichtszeit hörte man auf den Gängen das Schimpfen von Lehrkräften, die wiedermal auf die Maskenpflicht hinwiesen. ... Bald häuften sich Akte von Vandalismus und Aggressionen – so schlimm war es noch in keinem Schuljahr. ... Die Pausenaufsichten wurden immer anstrengender, in jeder Pause gab es laute Konflikte, kurz vor Weihnachten kam es dann sogar im Unterricht zu einer heftigen Schlägerei. ... Die Fehlzeiten der Kinder nahmen deutlich zu, täglich entließ ich Kinder für Arztbesuche oder weil es ihnen einfach nicht gut ging, manchmal bis zu 5 Kinder an einem Schultag. Die Beschwerden waren zumeist Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe, aber auch Übelkeit und Magenschmerzen. ...“ Mehr auf unserer Homepage. Die Landesrechtsstelle Hessen informiert über rechtswidrige Weisungen, „nicht geleisteten“ Unterricht nachzuholen ... Verstärkt stellen wir fest, dass Schulleitungen trotz komplett unübersichtlicher Situation über die geleistete Arbeitszeit in den letzten Halbjahren Lehrkräfte jetzt anweisen, Stunden „nachzuholen“. Eine solche Weisung stellt sich in den allermeisten Fällen als rechtswidrig dar. Hintergrund ist die Tatsache, dass für eine Forderung, Arbeitszeit nachzuholen ein Arbeitszeitkonto die Grundlage sein müsste. Ein solches existiert für Lehrkräfte jedoch nicht. Folglich müssen sie Ihre Arbeitszeit Woche für Woche ableisten. Wenn die Arbeitsleistung der Lehrkräfte seitens des Dienstherrn aus den unterschiedlichsten (auch aus Corona-bedingten!) Gründen nicht in Anspruch genommen wird oder genommen werden kann, „verfällt“ die Verpflichtung zur Arbeitsleistung und muss auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachgeholt werden. ... Lehrkräfte kommen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Dienstherrn beziehungsweise dem Arbeitgeber nach, wenn sie ihre Arbeitsleistung „in der Dienstzeit“ zur Verfügung stellen. Da die Pflichtstundenverordnung eine Wochenpflichtstundenzahl definiert, kann dies nach Ansicht der Landesrechtsstelle immer nur wochenweise erfolgen. Können Lehrkräfte in dieser Zeit aus Gründen nicht arbeiten, die der Dienstherr zu verantworten hat, muss dies das Risiko des Dienstherrn sein und nicht der Beschäftigten. ... Die Verrechnung von Minusstunden in den darauffolgenden Wochen oder gar Monaten, wie sie vielfach vorgenommen wird, ist eine unzulässige Überschreitung des gesetzlichen Rahmens. Verschärfend kommt hinzu, dass die Lehrkräfte ja maximal bei den geleisteten Unterrichtsstunden vor Ort in der Schule „in Verzug“ gekommen sind was in den allermeisten Fällen nicht heißt, dass sie weniger gearbeitet hätten. Oft, und gerade unter „Corona Bedingungen“ haben die Lehrkräfte viel mehr gearbeitet als die Pflichtstundenzahl hergibt und ihren außerunterrichtlichen Verpflichtungen entspricht, nur eben nicht im Präsenzunterricht. In dem Kontext mag die Forderung „nicht geleistete“ Pflichtstunden nachzuholen fast schon als höhnisch empfunden werden. ... Beispiele einer unzulässigen Aufforderung, verpassten Unterricht nachzuholen sind: Kein oder nur unzureichender Überblick über geleistete Arbeit aufgrund der Corona- Situation Ausgefallener Fachunterricht beim Praktikum Kolleg*in geht auf Fortbildung und soll ausgefallenen Unterricht nachholen Unterrichtsausfall, weil Schüler*innen auf Klassenfahrt/Wandertag/Studienfahrt sind Unterrichtsausfall in Prüfungswochen Unterrichtsausfall nach dem Ende der Abitur- oder anderer Abschlussprüfungen. Wenn Arbeitszeit nachgeholt werden soll, die länger als einen Monat zurück gelegen haben soll, bitte den Personalrat einbeziehen und bei Bedarf die GEW-Rechtsberatung kontaktieren.