Rundbrief 9

Keine Videokonferenzen ohne Einwilligungen der Lehrkräfte

vom 27.01.2021

Liebe GEW-Kolleginnen und Kollegen im Bezirksverband Südhessen,

mit diesem Newsletter wollen wir Euch über ein Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden informieren, dem zufolge eine Verpflichtung von Lehrkräften, Videokonferenzen abzuhalten, wohl rechtswidrig ist. Dies entspricht unserer Forderung: Keine Videokonferenzen ohne Einwilligung der Lehrkräfte. Ohne individuelle Zustimmungen bzw. Dienstvereinbarungen mit Personalvertretungen geht es nicht. Bei Fragen zum konkreten Vorgehen könnt Ihr uns gern per Mail an info@gew-suedhessen.de anschreiben. Ein Übergehen unserer Rechte wollen wir nicht mehr tolerieren.

Wir wünschen Euch alles Gute!
Christine Dietz, Michael Köditz, Dr. Manon Tuckfeld
Vorsitzendenteam des Bezirksverbands der GEW Südhessen
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Verwaltungsgericht Wiesbaden: Verpflichtung von Lehrkräften, Videokonferenzen abzuhalten, wohl rechtswidrig

GEW fordert: Keine Videokonferenzen ohne Einwilligungen der Lehrkräfte

Die Ansage des Ministeriums im Schreiben vom 20.08.2020 hat in der Lehrerschaft hörbar eingeschlagen: Lehrkräfte können von der Schulleitung zur Durchführung des Distanzunterrichts per Videokonferenz ohne deren Einwilligung zur Datenverarbeitung angewiesen werden. Begründet hat man dies (nach Beratung mit dem Landesdatenschutzbeauftragten) mit Artikel 88 der DSGVO in Verbindung mit § 23 HDSIG sowie dem Beamtengesetz.

Verwaltungsgericht Wiesbaden sieht Verletzung der DSGVO
Sowohl die GEW als auch alle uns bekannten Personalvertretungen sehen dies anders. Somit hat der Hauptpersonalrat die gerichtliche Klärung angestrebt. Und er wollte zusätzlich wissen, ob es zulässig war, dass der Hauptpersonalrat bei diesem Erlass vom Ministerium nicht beteiligt worden ist.

Die Antwort des Verwaltungsgerichts Wiesbaden lautet: „Das vorlegende Gericht hat Zweifel daran, dass es sich bei § 23 Abs 1 S. 1 HDSIG und § 86 Abs. 4 S. 1 HBG jeweils um eine Norm handelt, die als eine spezifischere Vorschrift hinsichtlich der Verarbeitung von personenbezogenen Beschäftigungsdaten nach Art. 88 Abs. 1 und 2 DS-GVO anzusehen ist, da die in Art. 88 Abs. 2 DS-GVO gestellten Anforderungen weder in der Norm selbst, noch durch ergänzende Normvorgaben an anderer Stelle des jeweiligen Gesetzes erfüllt worden sind.“ (Verwaltungsgericht Wiesbaden, Beschluss vom 21.12.2020, Az.: 23 K 1360/20.WI.PV).

Damit meldet das Verwaltungsgericht erhebliche Zweifel an der Rechtsauffassung des Ministeriums als auch des Datenschutzbeauftragten an, welche in seinen Augen das auf den Schutz der Mitarbeiter*innendaten gerichtete EU-Recht hier weit überdehnen und im nationalen Recht nicht ausreichend genug präzisiert haben.

Damit stehen nun unrechtmäßige Grundrechtseingriffe in nicht erheblichen Umfang im Raum, so dass das Verwaltungsgericht diese Frage an den Gerichtshof der Europäischen Union verweist.

Absatz zum Thema Datenschutz
Datenschutz in seiner Ausprägung der informationellen Selbstbestimmung – jüngst in Ausprägung der DS-GVO – ist ein verfassungsgerichtlich verbrieftes Grundrecht. Dieses gilt es insbesondere seitens eines öffentlichen Arbeitgebers zu schützen. Man nennt es „privacy by design“ – also dies von Beginn an mitzudenken statt es als lästiges „add-on“ zu diskreditieren.

Erforderlichkeit
Auch die Erforderlichkeit der Datenverarbeitung sieht das Verwaltungsgericht nicht im nationalen Recht widergespiegelt. Das ist aus Sicht der GEW nicht verwunderlich, haben wir doch ebenfalls stets auf die vom Ministerium selber formulierten Alternativen verwiesen. Diese milderen Mittel zur Erreichung des Zwecks müssen ja nicht zuletzt deswegen gegeben sein, da Schüler*innen, die um ihre Einwilligung gebeten werden, diese ohne Benachteiligung ablehnen oder widerrufen können müssen.

Und das alles nur, weil unser Arbeitgeber in Form der hessischen Landesregierung meint, die Digitalisierung in der Pandemie par ordre du mufti und vorbei an jeder Personalvertretung gegenüber den eigenen Mitarbeiter*innen durchsetzen zu können. Dies ist nun offensichtlich nicht nur rechtlich fragwürdig - es ist auch grundsätzlich ein höchst kritisches Agieren eines Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeiter*innen.

Zumal, wenn dieser öffentliche Arbeitgeber auch nach über einem Jahr Pandemie nicht in der Lage ist, eigene datenschutzfreundliche und datensparsame Videokonferenzsysteme zusammen mit den Schulträgern vollumfänglich zur Verfügung zu stellen, sondern aus eigener Unzulänglichkeit heraus alle und jedes datenverarbeitende Videokonferenzsystem (selbst außerhalb des eigenen, europäischen Rechtsraums) in Schulen erlaubt, so dass Lehrer*innen dies nun mit erzwungenen Eingriffen in Ihre Grundrechte ausbaden müssen sollen.

Digitalisierung verschleppt
Die Digitalisierung in den Schulen ist ohne Zweifel eine notwendige und viel zu lange verschleppte Herausforderung - für alle Beteiligten. Unbestritten ist auch, dass die Pandemie die Problematik einerseits in ihrem vollen Ausmaß zu Tage befördert hat und andererseits an manchen Stellen auch beschleunigt hat.

Dennoch wird uns dieses Themenfeld noch eine Weile beschäftigen und herausfordern, so dass es geradezu kontraproduktiv ist, einzelne Gruppen - wie die Lehrkräfte - hierbei mit Zwang und Druck verdonnern zu wollen. Dies ist in unnötiger Weise dazu dienlich Skepsis und Ablehnung zu befördern - wir erleben das derzeit in diversen anderen Gesellschaftsbereichen.

Digitalisierung kein Selbstzweck
Ein wesentlicher Faktor für das Gelingen einer sinnvollen Digitalisierung in Schule ist und bleibt die Lehrkraft. Digitalität an sich ist kein Selbstzweck, sondern kann erst durch die Menschen sinnstiftend ihr Potential ausspielen. Die pädagogische Freiheit der Lehrkräfte ist hierbei unablässig. Ihre Aufgabe ist es, den Raum als dritten Pädagogen für gelingendes Lernen und eine positive Entwicklung der Lerner*innen zu bereiten – und dies gilt genauso für den digitalen (Lern-)Raum. Die positiven und grundlegenden Erfahrungen dieser Pädagogischen Freiheit gilt es zu übertragen und zu bewahren.

Keine verpflichtende Anordnung
Wir fordern daher die Landesregierung in Form des Kultusministeriums auf, angesichts dieses gehörigen Fragezeichens seitens des Verwaltungsgerichts und in Unkenntnis der ausstehenden, grundrechtsrelevanten Entscheidung des EuGH jegliche Verpflichtung und Anordnung zur Datenverarbeitung in Videokonferenzsystemen aufzuheben und bis zur abschließenden Klärung auszusetzen.

Wir fordern - wie auch bei den Schüler*innen - zur Form der Freiwilligkeit mit Einwilligungen zurückzukehren - oder aber, wie vom Verwaltungsgericht angemerkt, Grundlagen in nationalem Recht bzw. Dienstvereinbarungen zu schaffen. Hierzu ist der Dialog mit den Personalvertretungen zwingend notwendig. Bedauerlich genug, dass dies offenbar für den Dienstherren keine Selbstverständlichkeit mehr zu sein scheint.

Wir verlinken hierzu unseren Beitrag auf der Grundlage eines von der GEW Südhessen beauftragten Rechtsgutachtens zu diesem Thema. Lehrkräften, die sich gegen konkrete dienstliche Anweisungen zu Gunsten ihrer Grundrechte wehren wollen, bietet die GEW weiterhin Rechtsberatung und -beistand an.

Dr. Manon Tuckfeld, Bezirksvorsitzendenteam