Rundschreiben Nr. 11

Erfahrungsberichte

Liebe GEW-Kolleginnen und Kollegen im Bezirksverband Südhessen,

mit dieser Mail schicken wir Euch Erfahrungsberichte und Resonanzen auf unseren letzten Newsletter sowie eine Information der Landesrechtsstelle über rechtswidrige Weisungen, „nicht geleisteten“ Unterricht nachzuholen.

Wir wünschen Euch eine interessante Lektüre!
Christine Dietz, Michael Köditz, Dr. Manon Tuckfeld
Vorsitzendenteam des Bezirksverbands der GEW Südhessen

Kinder im Lockdown: Erfahrungsberichte
Im letzten Newsletter ging es um die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen aufKinder und Jugendliche. Wir baten Euch um Erfahrungsberichte. Die Resonanz warüberwältigend. Es gab viele Antworten, und alle zeigten sich erfreut darüber, dassdieses Thema angegangen werden soll. Wir versprachen Verbreitung mit dem Zieleiner Diskussion, auch darüber, wie die Schule sich in Zukunft aufstellen muss, um bspw. auch psychische Entwicklungsdefizite aufzuarbeiten. Da einige Kolleg*innenbaten, namentlich nicht genannt zu werden, haben wir uns entschlossen, dieBerichte grundsätzlich nur mit Angaben zu Ort und Schulform veröffentlichen.Namen und Mailadressen aller Einsender*innen sind uns bekannt, und natürlich sindalle Mitglied unserer Gewerkschaft.

Die Freude darüber, dass Kinder Thema werden, zeigt sich exemplarisch in der Maileiner friedenspolitisch engagierten Kollegin aus Offenbach, die schreibt: “Danke füreuer Schreiben! Ich hatte im letzten Jahr zum ersten Mal in meiner langen Zeit derMitgliedschaft in der GEW das Gefühl, in der falschen Organisation zu sein. Ständigwar der Fokus nur bei den Lehrkräften. Wie du weißt, bin ich im Ruhestand. Deshalbhabe ich gedacht, ich mische mich nicht ein. Ich habe ja nicht das Problem, mich inüberfüllten Klassenräumen aufhalten zu müssen. Ich fürchte um die Kinder! Es liegtauf der Hand, dass sie Schaden nehmen. Und nach meinen Erfahrungen mitJugendlichen, die auf den Hauptschulabschluss hinlernen, ist die Forderung diePrüfungen auszusetzen genau richtig. Viel Erfolg!“

Die bis gestern auf der angegebenen Mailadresse eingegangenen Berichte fülleninzwischen 16 Seiten. Das ist zu viel für diesen Newsletter. Wir haben die Texte mit geringfügigen Kürzungen auf unsere
Homepage gestellt, dort sind sie auchinsgesamt als pdf-Datei abrufbar.

Hier ein paar kurze Ausschnitte:

Eine sozialpädagogische Fachkraft, die in der mobilen pädagogischenFrühförderung mit Kindern im Vorschulalter arbeitet, schreibt:
„Jetzt in Zeiten des Lockdowns zeigt sich noch viel deutlicher als sonst, welchewichtigen Bildungs- und Erziehungsaufgaben Kindertagesstätten haben,insbesondere bei (sozial) benachteiligten Kindern: Die Kinder, mit denen ich arbeite, die jetzt wochenlang ihre Einrichtungen nichtbesuchen konnten, stagnieren deutlich in ihrer Entwicklung oder machen sogarRückschritte. Besonders gravierend zeigt sich das in ihrer Sprachentwicklung und inihrer Fähigkeit, sich zu konzentrieren. Sehr problematisch ist dies insbesondere fürKinder, die jetzt kurz vor ihrer Einschulung wochenlang kein Deutsch gehört und gesprochen haben. ...“

Die Klassenlehrerin einer 3. Klasse im MTK schreibt:
„Ich beobachte, dass die Kinder unmotivierter werden, sich teils sehr einsam fühlen (auch wenn sie ein liebevolles Zuhause haben) und ihre Freunde sehr vermissen. Ich will die Kinder selbst zu Wort kommen lassen."

Es folgen zwei Auszüge aus Schüleraufsätzen:

"Seit fast einem Jahr gibt es nun Corona. Das ist ein Achtel meines bisherigenLebens. Langsam finde ich es richtig zum Heulen. Ich kann nicht in denFußballverein zum Trainieren. Schwimmbäder und Kinos haben zu und mit allmeinen Freunden zusammen kann ich mich auch nicht mehr treffen. Die Schule findet online oder als Notbetreuung statt. All diese Dinge machen mich wütend, traurig und oft bin ich so durcheinander, dass ich mich nicht mehr richtig konzentrieren kann. Am blödesten ist, dass mir kein Erwachsener sagen kann, wann alles wieder normal wird. Ich freue mich am meisten darauf, wenn die Erwachsenen wieder gut drauf und nicht mehr gestresst sind. Wenn ich wieder mit meinen Freunden spielen und lernen kann. Ich möchte wieder viele Tore schießen in meiner Fußballmannschaft."

"Langsam geht mir Corona auf den Keks. Ich weiß nicht mehr wie es war, als Corona noch nicht da war. Es ist ja schon ein ganzes Jahr her, langsam reicht‘s. Abends im Bett denke ich immer: 'Wann hört es endlich auf oder begleitet das Corona mich mein ganzes Leben lang?' Diese Fragen quälen mich. Ganz besondersnerven die Masken. Damit kriegt man nicht so gut Luft. Ich glaube Corona hat uns gezeigt, dass wir Menschen mehr auf die Umwelt achten sollen. Vielleicht ist Coronaein Warnzeichen der Erde."

Die Klassenlehrerin einer 7. Klasse in Darmstadt schreibt:
... „Bestimmt eine sehr „andere Lernzeit“, die alle Beteiligten oft an den Rand desWahnsinns bringt, jedoch auch viele Schwachstellen und zugleich Ressourcenoffenbart. Sicherlich problematisch für Schüler ohne häuslichen Rückhalt, Kontrolleund Hilfestellung und für diejenigen, deren sensible Psycho an der Länge derIsolation Schaden nimmt und die die ggf. wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Elternhaus stark belastet.“

Eine Kollegin, die im elternbund hessen mitarbeitet, schreibt:
„Ich fände es gut, wenn wir nach all den Informationen von Hüther und anderen zuder Situation unserer Kinder kindorientierte Rückführungsmaßnahmen bzw. einGesamtkonzept fordern. Bereits die Zeugnisse von letzter Woche waren bei vielenKindern die der Eltern. ... Wir haben mit den Folgen der Pandemie die Chance, unsere inklusivenHandlungskonzepte auf alle Kinder anzuwenden, sie alle fürsorglich ins Bildungssystem zurückzuführen - nicht nur die mit einem sonderpädagogischem Stempel. Corona hat viele andere zusätzlich herausfallen lassen (sie exkludiert). Wir können uns - wie für die Impfung - auch für unsere Kinder die Zeit nehmen, die sieverloren haben, ihrer Exklusion inklusiv begegnen, kindorientierte Räume zumAufholen schaffen und uns mehr dazu mit unseren europäischen Nachbarn austauschen. Sie haben doch die selben Probleme trotz ihrer gut entwickelten digitalen Möglichkeiten. Eine solche Vorgehensweise würde uns alle in Deutschlandund in der EU stärken und könnte uns zu einer solidarischenHandlungsgemeinschaft zusammenschweißen. Ihr habt doch sicher auch Kontaktezu euren Gewerkschaften in den Nachbarländern? Lasst uns doch gemeinsameSache machen!“

Eine HR-Kollegin schreibt:
„... Zu Beginn des Schuljahres war ich entsetzt über die massiven Einschränkungenfür die Kinder … und dann kam die Maskenpflicht im Unterricht! ... Es war eineerbärmliche Zeit! ... Die Unterrichtsdynamik nahm ab, die Kinder klagten zunehmend über Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfschmerzen und sie waren wenig motivierbar. Als Gründe gaben sie zumeist an, sie hätten wenig oder schlecht geschlafen. Die Stimmung entsprach so ein wenig dem „Winterblues“. Während der Unterrichtszeit hörte man auf den Gängen das Schimpfen von Lehrkräften, diewiedermal auf die Maskenpflicht hinwiesen. ... Bald häuften sich Akte vonVandalismus und Aggressionen – so schlimm war es noch in keinem Schuljahr. ...Die Pausenaufsichten wurden immer anstrengender, in jeder Pause gab es laute Konflikte, kurz vor Weihnachten kam es dann sogar im Unterricht zu einer heftigenSchlägerei. ... Die Fehlzeiten der Kinder nahmen deutlich zu, täglich entließ ich Kinder für Arztbesuche oder weil es ihnen einfach nicht gut ging, manchmal bis zu 5 Kinder an einem Schultag. Die Beschwerden waren zumeist Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe, aber auch Übelkeit und Magenschmerzen. ...“

Mehr auf unserer Homepage.

Die Landesrechtsstelle Hessen informiert über rechtswidrige Weisungen, „nicht geleisteten“ Unterricht nachzuholen

… Verstärkt stellen wir fest, dass Schulleitungen trotz komplett unübersichtlicher Situation über die geleistete Arbeitszeit in den letzten Halbjahren Lehrkräfte jetzt anweisen, Stunden „nachzuholen“. Eine solche Weisung stellt sich in denallermeisten Fällen als rechtswidrig dar. Hintergrund ist die Tatsache, dass für eine Forderung, Arbeitszeit nachzuholen ein Arbeitszeitkonto die Grundlage sein müsste. Ein solches existiert für Lehrkräfte jedoch nicht. Folglich müssen sie Ihre Arbeitszeit Woche für Woche ableisten. Wenn die Arbeitsleistung der Lehrkräfte seitens des Dienstherrn aus den unterschiedlichsten (auch aus Corona-bedingten!) Gründen nicht in Anspruchgenommen wird oder genommen werden kann, „verfällt“ die Verpflichtung zur Arbeitsleistung und muss auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht nachgeholt werden. …

Lehrkräfte kommen ihren Verpflichtungen gegenüber dem Dienstherrn beziehungsweise dem Arbeitgeber nach, wenn sie ihre Arbeitsleistung „in der Dienstzeit“ zur Verfügung stellen. Da die Pflichtstundenverordnung eineWochenpflichtstundenzahl definiert, kann dies nach Ansicht der Landesrechtsstelleimmer nur wochenweise erfolgen. Können Lehrkräfte in dieser Zeit aus Gründennicht arbeiten, die der Dienstherr zu verantworten hat, muss dies das Risiko des Dienstherrn sein und nicht der Beschäftigten. …

Die Verrechnung von Minusstunden in den darauffolgenden Wochen oder gar Monaten, wie sie vielfach vorgenommen wird, ist eine unzulässige Überschreitungdes gesetzlichen Rahmens.

Verschärfend kommt hinzu, dass die Lehrkräfte ja maximal bei den geleistetenUnterrichtsstunden vor Ort in der Schule „in Verzug“ gekommen sind was in denallermeisten Fällen nicht heißt, dass sie weniger gearbeitet hätten. Oft, und geradeunter „Corona Bedingungen“ haben die Lehrkräfte viel mehr gearbeitet als diePflichtstundenzahl hergibt und ihren außerunterrichtlichen Verpflichtungenentspricht, nur eben nicht im Präsenzunterricht. In dem Kontext mag die Forderung„nicht geleistete“ Pflichtstunden nachzuholen fast schon als höhnisch empfundenwerden. …

Beispiele einer unzulässigen Aufforderung, verpassten Unterricht nachzuholen sind:
Kein oder nur unzureichender Überblick über geleistete Arbeit aufgrund der Corona-Situation
Ausgefallener Fachunterricht beim Praktikum
Kolleg*in geht auf Fortbildung und soll ausgefallenen Unterricht nachholen
Unterrichtsausfall, weil Schüler*innen auf Klassenfahrt/Wandertag/Studienfahrt sind
Unterrichtsausfall in Prüfungswochen
Unterrichtsausfall nach dem Ende der Abitur- oder anderer Abschlussprüfungen.

Wenn Arbeitszeit nachgeholt werden soll, die länger als einen Monat zurückgelegen haben soll, bitte den Personalrat einbeziehen und bei Bedarf die GEW-Rechtsberatung kontaktieren.